„Jeder von uns hat was ganz Eigenes mitgenommen!“
„Jeder von uns hat was ganz Eigenes mitgenommen!“
Marilena aus Dortmund hat 2021 in einem Newsletter von unserem Zertifikatslehrgang Geld und Gemeinwohl: Die Finanzwelt verstehen und gestalten erfahren. Name und Programm sprachen sie sofort an, und auch, dass der Lehrgang mit einer Projektarbeit abschließt. Im Interview mit Anna Erber erzählt die 26jährige, die aktuell im Risikomanagement einer großen Bank in München arbeitet, über ihre Gedanken zu Geld und Gemeinwohl, und von den Herausforderungen, die große Finanzinstitutionen am Weg zur Nachhaltigkeit zu bewältigen haben.
Liebe Marilena, dein Job klingt spannend – und irgendwie auch sehr konventionell.
Ja, ich habe BWL mit einem VWL-Schwerpunkt studiert, und mich in Richtung Banking und Finance spezialisiert. Am Weltethos-Institut in Tübingen habe ich parallel dazu Kurse etwa in „Geld & Ethik“ belegt, also habe ich mich schon früh für das Thema interessiert. Anfang 2020 habe ich mich dann auf Jobsuche gemacht und mich in einer großen Geschäftsbank beworben. Ich wollte sehen wie man dort mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht und auch einen Beitrag in diesem Bereich leisten. Klar trifft man da Menschen, die für Nachhaltigkeit eher wenig Verständnis haben – aber auch viele, die sehr engagiert an dem Thema dran sind und versuchen es voranzutreiben. Viel mehr, als ich erwartet hatte.
Was bedeutet Geld für dich persönlich?
Ich mache mir nicht die ganze Zeit Gedanken darüber, ich bin nicht in der Position – in dem Sinn, dass ich nie Geldprobleme hatte, aber so richtig mit Geld wirksam sein, kann ich erst seit relativ kurzer Zeit. Jetzt kann ich spenden, Förderpartnerschaften eingehen etc. Mir persönlich gibt das ein gutes Gefühl, denn allein dadurch, dass ich in Europa bzw. Deutschland geboren bin, gehöre ich schon „zu den oberen 10%“ der globalen Bevölkerung. Seit meinem Berufseinstieg muss ich nicht mehr auf jeden Penny schauen – und wenn man sich wie ich viel mit nachhaltigem Wirtschaften beschäftigt, kennt man auch bald die Unternehmen, die es wirklich ernst meinen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen. Darauf schaue ich gerne, wenn ich gerade etwas Neues brauche, Schuhe o.ä. ... Natürlich braucht man dann auch ein wenig Zeit, sich zu informieren.
Aber grundsätzlich betrifft Geld jeden von uns, niemand kann sagen, Geld ist mir unwichtig oder egal. Es ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens, auch weil ich damit ein gutes Leben führen kann. Gleichzeitig ist es auch ein totales Tabuthema, es wird kaum darüber gesprochen, wieviel man verdient, wo man investiert oder wie man seine Altersvorsorge gestaltet ... das sind keine Themen, die man so eben mal beim Abendessen bespricht, auch nicht mit den engsten Freunden. Ich fand es total interessant, dass wir im Lehrgang dann auch darüber gesprochen haben, was wir für Emotionen mit Geld verbinden, weil ich es auch in meinem privaten Umfeld erlebt habe, dass das Thema für viele Menschen mit ganz starken Emotionen und auch Ängsten verbunden ist – nicht gerade trivial. Und wenn man da nie drüber spricht, macht es das nicht besser.
Das ist wahr :) Was bedeutet Gemeinwohl für dich?
Was ich so sympathisch an dem Begriff Gemeinwohl finde ist, dass er so allumfassend ist. Es geht darum, als Privatperson oder auch als Unternehmer, darauf zu schauen: Wie viele Akteure umgeben mich. Und dass man dann versucht, wirklich größtmöglich auf alle Rücksicht zu nehmen. Ähnlich dem Motto der SDGs: „Leave no one behind!“ Ich, als handelnder Akteur, sehe mich in dem Kontext, in den ich eingebettet bin und versuche dort gemeinwohlorientiert zu handeln – und dabei möglichst alle miteinzubeziehen, z.B. auch indigene Bevölkerungen und andere kleinere Gruppen, die häufig übersehen werden.
Magst du noch über deine Projektarbeit erzählen?
Ich habe über das Thema CO2-Kompensation geschrieben – einer der Referenten, Alfred Strigl, hat mich darauf gebracht. Bis dahin hatte mich das nicht näher beschäftigt. Aber ich dachte dann, ich versuche das auch mal, meinen CO2-Fußabdruck zu berechnen und den dann zu kompensieren. Der erste Schritt war schon eine große Schwierigkeit – als Privatperson kann man die Berechnung auf verschiedenen Websites machen, jede spuckt etwas anderes aus ... Ich habe dann einfach das höchste Ergebnis genommen, ca. 8 Tonnen im Jahr. Das ist zwar noch unter dem deutschen Durchschnitt, aber trotzdem nicht wenig – ich lebe momentan in einem Haus, das mit einer Ölheizung beheizt wird, und kann das leider nicht beeinflussen. Richtig merkwürdig wurde es dann beim Kompensieren. Das Konzept beruht praktisch darauf, dass ich meinen Lebensstil weiterführen kann, und Menschen anderswo in der Welt müssen sich ändern. Das stört mein Gerechtigkeitsempfinden! Man kauft ein Zertifikat für eine Tonne CO2, die irgendwo NICHT entstanden ist, etwa durch Aufforstungsprojekte oder die Benutzung effizienter Kochöfen statt offener Feuerstellen. Da kamen mir tausend Fragen – wie berechnen die das, wie kontrollieren die das ... Ebenso fragwürdig scheint auch vielen Klimaaktivisten die aktuelle Praxis vieler Unternehmen, sich auf „Net Zero Verpflichtungen“ festzulegen, die darauf beruhen, die eigenen Emissionen zu kompensieren und damit „netto“ auf Null zu kommen – statt diese Emissionen gar nicht erst entstehen zu lassen. An sich ist es ja nicht verkehrt, Projekte in Entwicklungsländern zu unterstützen, aber unterm Strich war das Fazit meiner Projektarbeit, dass im Kontext von Unternehmen sehr viel Greenwashing in dem Bereich betrieben wird. Da kann es schon mal passieren, dass z.B. Shell in den Niederlanden Benzin als CO2-neutral bewirbt ... Die Klimastrategien der Unternehmen sind einfach noch nicht so gut ausgearbeitet, oder der Fokus liegt nicht stark genug darauf – es gibt wahrscheinlich viele Gründe.
Wie ist das aus deiner Sicht bei Banken?
Banken haben auch das ganz große Problem mit den Daten. Damit wir irgendwann wirklich das Kredit- oder Investment-Portfolio umsteuern könnten, bräuchten wir vor allem von den Unternehmenskunden alle Daten. Die großen Unternehmen haben natürlich alle schon einen Nachhaltigkeitsbericht, aber der ist dann teilweise nicht einheitlich, oder erfasst nicht die Emissionen, die z.B. in der Lieferkette entstehen oder im Produktlebenszyklus – die aber bei den meisten Unternehmen den größten Teil ausmachen. Und dann ist es natürlich auch für die Finanzinstitutionen schwierig, eine mit Daten unterfütterte und solide Klimastrategie zu entwickeln. Generell würde ich sagen: für eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft muss man wissen, wo das Problem ist. Und wenn man das noch nicht misst, wie willst du dich dann transformieren? Auch für die Verbraucher braucht es mehr Transparenz.
Würdest du unseren Zertifikatslehrgang weiterempfehlen – und wenn ja, wem?
Allen. Ich fand das total spannend, wir waren ja ein bunt gemischter Haufen. Es hat so viel Spaß gemacht, ich habe so viel mitgenommen, viele Anknüpfungspunkte, und die Referenten waren ganz unterschiedlich und sehr spannend. Ich glaube, das Thema Geld ist für jeden relevant und wird hier für alle gut aufbereitet, auch für Menschen, die sich noch gar nicht damit beschäftigt haben. Geld und Gemeinwohl gehören zusammen, ich glaube, viele sehen das noch nicht so. Das gehört geändert! So ein Kurs ist der erste gute Schritt, und natürlich muss man dann versuchen die Botschaft weiterzutragen!