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Das Geldsystem ändern: „Selbstreflexion geht vor!“

Cathedral Rock
Freitag, 25. Februar 2022

Das Geldsystem ändern: „Selbstreflexion geht vor!“

Unternehmensberater Jochen Reiter begleitet uns als Organisation schon länger immer wieder mit ehrenamtlichen Leistungen – etwa als Moderator der alljährlichen Kernteam-Klausur. Im Zertifikatslehrgang Geld & Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten vertritt er aktuell Sylvia Brenzel, die mit der „Geldarbeit“ (nach Peter Koenig) ein kraftvolles Werkzeug zur Reflexion der jeweils eigenen, höchstpersönlichen Haltung zu Geld ins Programm gebracht hat. Im Gespräch berichtet Jochen u.a. über seine eigene lebensverändernde Erfahrung damit. Das Bild zeigt einen Ort, der Jochen viel bedeutet: „Ich habe dort meine Frau geheiratet und stimme mich seit Jahren vor jedem Workshop, den ich begleite ein, indem ich ‚Cathedral Rock’ in einem kleinen Ritual ‚besuche’“.

 

 

Lieber Jochen, was ist Geld für dich?

 

Rückblickend war Geld lange Zeit etwas, nach dem ich gestrebt habe – eine Projektionsfläche für Anerkennung im Außen, die ich vielleicht im Innen – für mich selbst – nicht gehabt habe. Ich habe dann über die letzten sieben, acht Jahre reflektiert, was Geld wirklich für mich sein darf und kann, nämlich Energie. Ich versuche bewusst zu sagen: Geld als dieses Mittel, das wir verwenden um in einen Austausch zu treten, möchte ich als Energie sehen und so nutzen, dass es dort hinfließt, wo es gebraucht wird, und wo ich glaube, dass es gut wirken kann. Das klappt nicht immer, aber als Anspruch ist das etwas, womit ich sehr gut leben kann.

 

Wir werden noch erfahren, wie du dahin gekommen bist, aber vorab noch: Was ist Gemeinwohl für dich?

 

Gemeinwohl und Nachhaltigkeit werden oft mit dem erhobenen Zeigefinger diskutiert, und das ist eine Dynamik, die einfach nicht funktioniert, weil Menschen damit auf Konfrontation gehen und „zumachen“ – eine ganz natürliche Reaktion. In der Gemeinwohl-Bewegung sehe ich eine Möglichkeit in Richtung Nachhaltigkeit zu arbeiten, aber integrierend und mit einer lebensbejahenden Einstellung. Nach dem Motto: Wir gestalten jetzt etwas so, dass es im Endeffekt Mehrwert für dich und für mich bringt. Und das ist anders als vorher. Und das mag dazu führen, dass wir Lebensqualität miteinander neu definieren werden, anders, aber nicht schlechter. Vielleicht sogar besser – aber das soll dann jeder für sich selbst beurteilen. Ganz simpel gesagt: Ich schau auf dich, aber ich darf auch auf mich schauen. Und wir schauen einfach, dass es uns allen miteinander besser geht. Das ist für mich die Essenz des Gemeinwohl-Gedanken.

 

Klingt nach einem hilfreichen Ansatz! Wie bist du zur Geldarbeit gekommen, und was bedeutet sie für dich?

 

Ich habe Peter Koenig über Alfred Strigl und Sylvia Brenzel kennengelernt, und dann öfter mit ihm gearbeitet. Seine Geldarbeit ist für mich ein phänomenales System, weil sie für mich selbst auch funktioniert hat. Eigentlich ist Geld erst einmal neutral – wir haben es nicht geschaffen, um dieses Horten zu erlauben, das wir manchmal sehen, sondern um uns das miteinander Wirtschaften zu erleichtern – eine wunderbare Erfindung.

Dass Geld dann so viel für uns sein kann! Wenn ich Geld sehe, sehe ich den Ort wo ich wohne, das Essen das ich mir kaufen kann, ich seh den Urlaub, den Computer, das Mobiltelefon, was auch immer – es ist schon mal materiell eine wunderbare Projektionsfläche. Und genauso wird’s dann auch emotional zur Projektionsfläche: Geld ist Sicherheit, Geld ist Freiheit, Geld ist ein Übel, usw. Man projiziert die eigenen Ängste, Wut, die Sehnsüchte auf Geld. Interessant ist, wenn ich mit Geld Negatives verbinde, führt das häufig dazu, dass ich Geld unbewusst von mir wegschiebe. Diese Menschen haben sehr oft weniger. Menschen, die etwas Positives drauf projizieren, ziehen es oft an.

 

Kurz zwei Dinge: Es wäre lächerlich, Menschen mit knurrendem Magen nahezulegen, sie sollen jetzt ihre persönliche Einstellung zu Geld überdenken. Und ich rede im Übrigen NICHT über das GeldSYSTEM, das WirtschaftsSYSTEM. Das sind ganz andere Konstrukte, die nicht funktionieren, wie sie sollten, das meine ich hier nicht. Ich bleibe mit meinen Ausführungen direkt am Menschen mit gedeckten Grundbedürfnissen und seiner Beziehung zu Geld.

 

Portrait Jochen

 

Das Schöne an der Geldarbeit ist, dass man dabei Geld als Werkzeug verwendet, um diese Projektionen aufzuspüren und schließlich aufzulösen. Das sind festsitzende Emotionen, teilweise sogar Traumata, die uns davon abhalten, zur vollen Entfaltung zu kommen. Bei mir waren’s zwei, drei wesentliche Projektionen, und nachdem ich die  – wie anfangs erwähnt – aufgelöst hatte, hat sich mein Leben grundlegend verändert. Ich komme eigentlich aus der Privatwirtschaft, aus der Industrie, habe ganz gut verdient. In der Selbstständigkeit hatte ich einige Jahre, da wurde das Geld sehr knapp. Es war für mich eine extrem wichtige Erfahrung, mir Sorgen um Geld zu machen. Ich habe mir dann u.a. über Geldarbeit an mir selbst angesehen, was es auslöst, wenn man auf einmal massiv verzichten soll oder sogar muss. Das ist ein essentieller Prozess, wenn man mehr Nachhaltigkeit in die Welt bringen möchte. An einem gewissen Punkt kam die Realisation: So, jetzt habe ich hierzu eigentlich das gelernt, was ich – rückblickend – tatsächlich lernen habe sollen. Da dachte ich mir, jetzt wäre es doch schön, wenn wieder genug Geld da wäre. Und drei Monate später hatte ich plötzlich ein volles Auftragsbuch. Das war wirklich cool :)

 

Die Geldarbeit hat dir also geholfen, dich persönlich weiterzuentwickeln. Was ist in dieser Hinsicht dein Eindruck vom Lehrgang „Geld & Gemeinwohl“?

 

„Mein“ Teil des Lehrgangs, der eine Tag Geldarbeit (das andere kann ich schlecht beurteilen) hat mir unheimlich Spaß gemacht. Es waren tolle, offene Menschen dabei, die willig waren, ihre persönliche Beziehung zu Geld zu reflektieren – für mich DIE Voraussetzung, bevor wir als Menschen und als Gesellschaft im Außen das Geld- und Wirtschaftssystem ändern und anpassen an unsere Bedürfnisse. Wenn wir das nicht machen, sind wir unbewusst aus unseren eigenen Gefühlen und Traumata getrieben. Ich betone, Gefühle – auch eine gesunde Wut – sind wunderbare Werkzeuge, um Veränderungen im Außen vernünftig anzugehen. Aber erst, wenn man selbst begriffen hat, woher sie kommen – und nicht versucht, etwas im Außen zu ändern, was eigentlich „innen drin“ noch nicht passt. Der Geldlehrgang kann glaube ich sehr gut dazu beitragen, die inneren Mosaiksteine an die richtige Stelle zu bringen, bevor dann im Außen der Wandel angegangen wird – der absolut notwendig ist!

 

Magst du noch ein paar Worte über deine “herzlich-kritische” Verbindung zur Genossenschaft für Gemeinwohl anschließen?

 

Meine Lebensphilosophie ist: Wir sind hier, um uns zu entwickeln, zu entfalten, zu lernen. Und das von uns Menschen geschaffene soziale und auch das Wirtschaftssystem sind natürlich dazu da, das, was wir täglich brauchen, zur Verfügung zu stellen – aber vor allem auch, um miteinander zu interagieren. Um uns aneinander zu reiben, zu streiten (hoffentlich oft im positiven Sinn), eine Spielfläche zu haben, auf der wir uns weiterentwickeln und entfalten können. Hier ist die Genossenschaft eine wichtige Keimzelle, wo Menschen erarbeiten können: Was ist Geld, was sind Wert und Lebensqualität, und wie muss ein Geld- und Wirtschaftssystem aussehen, um uns Menschen und unsere Gesellschaft zu unterstützen. Ich weiß nicht, ob es die Genossenschaft auf Dauer geben wird – aber ihr wart schon erfolgreich und sinnvoll, egal wie es weitergeht. Und deshalb unterstütze ich euch gerne weiterhin.

 

Danke für das Gespräch!