Wandel im Finanzsystem: Schrittweise Annäherung versus große Vision
Wandel im Finanzsystem: Schrittweise Annäherung versus große Vision
Wie kommen wir zu einem gemeinwohlorientierten Geld- und Finanzsystem? Im Kamingespräch des 3. Moduls unseres Zertifikatslehrgangs “Geld und Gemeinwohl – die Finanzwelt verstehen und gestalten” plädierte Christian Stiefmüller von Finance Watch in seinem Eingangsstatement für eine Politik der zielgerichteten Schritte.
Angesichts der zunehmenden Konzentration systemrelevanter Institutionen und deren steigender Vernetzung mit sogenannten Schattenbanken1 bräuchte es konkret eine größere Vielfalt im Bankensektor – im Bereich Governance und bei der Interaktion mit den Kund*innen. Im Sinne der Demokratie sollte das Recht der Geldschöpfung zu den Zentralbanken rückverlagert werden. Aktuell weist die Entwicklung jedoch in eine andere Richtung, wie das Beispiel der geplanten Facebook-Währung Libra zeigt. Deren Gründung würde letztendlich eine Verlagerung des Münzregals, des historischen Hoheitsrechts der Münzprägung, an ein Konsortium von privaten Unternehmen bedeuten. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Bürger*innen sind hier gefragt, sich zu informieren und gegenzusteuern.
Diskussionspartner Christian Felber , Projektinitiator und Aufsichtsrat der Genossenschaft, warf zu Beginn einen Blick in die Zukunft und skizzierte die aus seiner Sicht wesentlichen Eckpfeiler einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Finanzwirtschaft. Dazu zählen u.a. Größenbegrenzungen für Banken; klare Regeln der Kreditvergabe; eine Dezentralisierung der Börsen, die keine Handelsplätze mehr sein, sondern sich ausschließlich der Finanzierung von Unternehmen widmen sollten; ein Verbot von Derivaten2; eine Ent-Finanzialisierung3 von Pensionssystemen – bei einer gleichzeitigen Stärkung der staatlichen Umlagensysteme – sowie eine Vollgeldreform4 mit einhergehender Demokratisierung von Zentralbanken.
Wie kann demokratische Teilhabe zu Finanzfragen aussehen?
Die Möglichkeit zur demokratischen Mitgestaltung bildet eine unumgängliche Voraussetzung eines gemeinwohlorientierten Geld- und Finanzsystems. Bestehende Bürger*innenräte in Irland, Deutschland und Frankreich könnten hierfür Vorbildwirkung entfalten. Am Beispiel der Bankenunion, die infolge der Finanzkrise ab 2008 auf europäischer Ebene eingerichtet worden war, zeigt sich deutlich, wie Maßnahmen aussehen, die allein von Beamt*innen gestaltet werden. Diese enthält etwa keinerlei Größengrenzen für Finanzinstitute, obwohl allein der Begriff der Systemrelevanz von Banken bereits auf deren Notwendigkeit hinweist, noch ökologische Kriterien für die Kreditvergabe. Christian Felber zeigte sich überzeugt, dass eine verstärkte Mitbestimmung – z.B. in Form demokratischer Geldkonvente – dazu führen würde, dass alternative Vorschläge wie etwa eine Stärkung ethischer Banken und deren gesetzliche Regelung wie in Italien, breite Zustimmung fänden.
Welche konkreten Schritte bräuchte es?
Christian Stiefmüller plädierte hier zunächst für eine intelligente Auslegung des bestehenden Rechts. Institutionen seien grundsätzlich lernfähig, auch wenn es dafür zumindest einen langen Atem, wenn nicht gar eine neue Krise braucht. Eine strukturelle Trennung zwischen Risiko- und Community-orientiertem Geschäft wäre ein sinnvoller und realistischer Schritt. Christian Felber sprach sich konkret u.a. für ein Verbot des Ankaufs von Unternehmensanleihen durch die Europäische Zentralbank aus, um in Zukunft zu verhindern, dass diese etwa Anleihen des Chemiekonzern Bayer erwirbt. Ein weiterer von ihm in die Diskussion eingebrachter Vorschlag zur Errichtung eines weltweiten Handelsregimes – “Bretton Woods II” – wurde von Stiefmüller eher vorsichtig bewertet. Würde dies doch ausgeglichene Machtverhältnisse sowie eine Durchsetzung von Vernunft anstelle partikularer Interessen auf globaler Ebene voraussetzen – ein für ihn heute unrealistisches Szenario.
Einig zeigten sich beide Diskussionsteilnehmer hinsichtlich einer wünschenswerten “asymmetrischen Regulierung” von Banken. Damit wäre eine unterschiedlich strikte Regulierung kleiner, genossenschaftlicher und ethisch agierender Banken auf der einen, und großen, gewinnorientierten, oftmals als Aktiengesellschaften organisierten Geschäftsbanken auf der anderen Seite gemeint.
Was kann jede und jeder einzelne tun?
Für politisches Handeln “von unten” gilt: Die heute vorhandenen Strukturen müssen stärker genutzt sowie neue demokratische Wege entwickelt und erprobt werden – und Bewusstseinsbildung bleibt eine wesentliche Voraussetzung. Bürger*innen müssen ihre Rechte kennen und sie auch wahrnehmen. So besteht etwa im Fall einer Verletzung der Grundprinzipien der Verfassung in Österreich die Möglichkeit, an die Volksanwaltschaft heranzutreten und so Einspruch zu erwirken. Organisationen zu unterstützen und ihnen beizutreten, die sich für einen Wandel des Geld- und Finanzsystems einsetzen, ist ein weitere Möglichkeit, aktiv zu werden. Finance Watch etwa setzt sich auf europäischer Ebene für eine gerechte Ausgestaltung des EU-Projekts ein und bildet einen Gegenpol zur industriedominierten Finanzlobby.5 Die Genossenschaft für Gemeinwohl bietet in Österreich konkrete Dienstleistungen in den Bereichen Geldwirtschaft und Bildung – und hat soeben die Mitgliedschaft bei Finance Watch beantragt.
Anmerkungen:
- Als Schattenbanken gelten “Finanzunternehmen, die außerhalb des regulären Geschäftsbankensystems angesiedelt sind. Hierzu zählen beispielsweise finanzielle Zweckgesellschaften und Fonds (Geldmarkt-, Investment-, Hedgefonds). Daneben werden auch bestimmte Aktivitäten (darunter Verbriefungen und Wertpapierfinanzierungsgeschäfte) zum Schattenbankensystem gezählt.“
Deutsche Bundesbank: Das Schattenbankensystem im Euro-Raum: Darstellung und geldpolitische Implikationen. Monatbericht März 2014 - Die Österreichische Nationalbank definiert Derivate als “Finanzinstrumente, deren Wert vom Preis eines anderen Finanzinstruments (dem Basiswert, auch Underlying genannt, wie z.B. Rohstoffe, Zinsen, Aktien, Währungen, etc.) abgeleitet ist. Der Begriff wird oftmals auch als Sammelbegriff für Termingeschäfte verwendet. Man versteht darunter Verträge, in denen ein Investor mit einer Vertragspartei vereinbart, einen Vermögensgegenstand zu festgelegten Bedingungen in der Zukunft zu kaufen, zu verkaufen oder zu tauschen. Diese Geschäfte sind auf den Finanzmärkten im Rohstoffhandel weit verbreitet und werden zum Beispiel von Industrieunternehmen zur Absicherung zukünftiger Umsätze bzw. Kosten (Hedging) verwendet. Bei Rohstoffinvestitionen über Derivate ergeben sich daher Risiken durch die Preisentwicklung und durch die mit den Instrumenten verbundenen spezifischen Risiken.”
OeNB: Factsheet Derivate.
https://www.oenb.at/docroot/risiko_ertrag/wissensboerse/factsheets-derivate.html [04.02.2020] - Der Begriff Finanzialisierung umschreibt allgemein die zunehmende Bedeutung von Kredit- und Kapitalmärkten auch in Bereichen außerhalb des Finanzsystems, wie Gesundheit oder eben kapitalmarktbasierte Pensionsvorsorge.
- Vollgeld bedeutet ein gesetzliches Zahlungsmittel, das ausschließlich durch Zentralbanken herausgegeben wird.
- Eine Studie aus dem Jahr 2014 schätzte die Zahl der in Brüssel tätigen Finanzlobbyisten auf 1.700. Dies entspricht in etwa dem vierfachen der für Finanzthemen zuständigen EU-Beamt*innen.
CEO/ AK Europe/ ÖGB Europabüro 2014: The Fire Power of the Financial Lobby.
https://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/financial_lobby_report.pdf [04.02.2020]